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Bei der Promotion sind Vertrauen und Freiraum essentiell - Sara Konrad

Bei der Promotion sind Vertrauen und Freiraum essentiell

Sara Konrad

 

Wie sollen wir auch sonst zu neugierigen, selbstständig denkenden, kreativen WissenschaftlerInnen
werden?

 

22 Tage nach Beginn meiner Promotion war ich nervlich komplett am Ende.
Heute, über vier Jahre später, geht es mir so gut wie noch nie. Trotz Covid19 und trotz der Tatsache, dass ich in drei Monaten meine Dissertation abgeben werde.

 

Drei Jahre hatte ich mich nicht mehr mit Physik beschäftigt. Jetzt wollte ich die Probleme kosmischer Strukturentstehung unter Einbeziehung Einsteins Relativitätstheorie und Methoden der Quantenfeldtheorie lösen. Klingt kompliziert? Das ist es!

Warum sich mein Prof. auf ein solches Mammutprojekt mit jemandem einlässt, der drei Jahre lang keine richtige Physik gesehen hat? 2011 schrieb ich meine Bachelorarbeit bei ihm, die ziemlich gut lief.

 

Ich bekam ein Problem und einen approximativen Lösungsweg, den ich ausrechnen sollte. Ein paar Wochen später meldete ich mich bei meinem Prof. Ich hatte die approximative Lösung verworfen und dafür eine einfachere, exakte gefunden. Meine Bachelorarbeit wurde ein voller Erfolg, wir schrieben eine wissenschaftliche Veröffentlichung mit mir als Erstautor, weitere Co-Autorenschaften folgten.

Er setzte wohl viel Hoffnung in mich. Später lernte ich, dass es nicht nur Hoffnung, sondern vor allem auch Vertrauen in meine Fähigkeiten gewesen sein musste.

 

Die Anfangsphase meiner Promotion verlief, milde gesagt, bescheiden. Ich steckte noch bis zum Hals in einem nervenaufreibenden und zeitfressenden vorherigen Forschungsprojekt, dessen Abschluss nicht abzusehen war. Ich war frustriert, weil ich beim Wiedererlernen physikalischer Grundlagen kaum vorwärts kam. Die Literatur über die Theorie, mit der ich arbeiten sollte, verstand ich monatelang überhaupt nicht. Und 22 Tage nach Beginn meiner Promotion zerbrach ohne Vorwarnung meine Beziehung. Ich war am Tiefpunkt angelangt.

Für Wochen und Monate kam ich nicht voran. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich dem schweren Promotionsthema annähern sollte.

Mir war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich rang mich zu einem offenen Gespräch mit meinem Prof. durch. Er hörte mir geduldig und verständnisvoll zu. Dann fragte er mich, was wir ändern könnten, damit ich den Anschluss bekomme. Ich schlug wöchentliche Treffen mit kurzen Fortschrittsupdates vor. Eigentlich hasse ich es bei der Arbeit kontrolliert zu werden und regelmäßig Rechenschaft ablegen zu müssen, aber von Schuldgefühlen geplagt, war es das einzige, was ich anbieten konnte. Seine Antwort verblüffte mich. Er lehnte meinen Vorschlag ab, da er befürchtete, dass das zu viel Druck für mich sei. Ich war erleichtert und unendlich dankbar für sein Verständnis. Er schlug mir stattdessen eine leichte Einstiegsaufgabe vor, damit ich ein schnelles Erfolgserlebnis habe. Dieses Angebot nahm ich gerne an.

 

Auch in der folgenden Zeit fragte er nie nach, wie es bei mir läuft. Es ist generell nicht seine Art zu drängen. Wenn man ihn sprechen möchte, steht seine Tür offen. E-Mails beantwortet er spätestens am nächsten Tag. Immer. Wenn man nicht weiter kommt, lobt er einen für das, was man ausprobiert hat, weil man gezeigt hat, was nicht funktioniert. Dann hat er Ideen, was man als nächstes ausprobieren kann. Wenn man meint etwas Banales gefunden zu haben, zeigt er auf, dass das ganz und gar nicht banal, sondern physikalisch interessant ist. Seine Art den Fortschritt sichtbar zu machen und wert zu schätzen, ist unglaublich motivierend.

 

Trotz der neuen Aufgabe ging es bei mir jedoch nicht wirklich voran. In dieser Zeit begann er damit mich hin und wieder fast beiläufig an den Erfolg bei meiner Bachelorarbeit zu erinnern –  wie ich nach ein paar Wochen wie aus dem Nichts mit einer eigenen einfacheren Lösung zu ihm kam.

Nach und nach erkannte ich, dass es mir nicht nur erlaubt war, sondern dass es vielleicht sogar von mir erwartet wurde, die eigentliche Aufgabe zu verlassen und nach anderen Möglichkeiten zu suchen.

Unsere Gespräche verliefen meist so, dass ich mit ihm einen nächsten Schritt besprach und anschließend genau das Gegenteil tat. Nicht etwa, weil ich das aktiv so entschied, sondern weil mir das andere dann doch natürlicher erschien. Meinen Prof. schien das niemals zu stören.

Mit der Zeit stellten sich kleine Erfolge ein, ich wurde selbstbewusster und auch psychisch erholte ich mich langsam. Den eigentlichen Wendepunkt erlebte ich dann über zweieinhalb Jahre nach Beginn meiner Promotion während des Gruppenseminars.

 

Unser Gruppenseminar ist mit verschiedenen Beiträgen gefüllt. Zum einen stellen einzelne Gruppenmitglieder ihre eigene Arbeit vor, zum anderen wird über aktuelle Forschungsergebnisse in der Kosmologie gesprochen. Schließlich gibt es noch Lehrvorträge, bei denen Lehrbuchthemen oder -methoden im Vorlesungsstil vorgetragen werden. Diese Themen haben nicht notwendigerweise direkt etwas mit unserer Arbeit zu tun, benötigen einiges an Vorbereitung und sind meist höchst spannend.

Ich hatte mich für ein mathematisches Thema gemeldet. Genau genommen kam ich zu spät zur Themenverteilung und dieses Thema war das einzige das noch übrig war. Es ging um die „Sattelpunktapproximation“. Ehrlich gesagt hatte ich zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, was das sein sollte. Mein Prof. klärte mich auf. Die Sattelpunktapproximation ist eine Methode, um das Verhalten bestimmter Integrale zu approximieren. Hässliche Integrale gibt es in unserer Theorie zur Genüge und Probleme diese auszurechnen, haben wir auch. Allerdings hatte sich mein Prof. in der Vergangenheit bereits mit numerischen Mathematikern zu dieser Problematik besprochen und keine hilfreiche Idee bekommen. Ich rechnete also mit einem interessanten Thema, das uns aber nicht allzu viel nützen würde.

Wochenlang beschäftigte ich mich kaum mit etwas anderem als diesen für mich neuen und faszinierenden mathematischen Methoden, die dieser Approximation zugrunde liegen. Dass ich bei meiner eigentlichen Arbeit zunächst nicht weiter voran kam, war zum Glück kein Problem.

Um das Thema verständlicher zu gestalten, bereitete ich für den Vortrag viele Beispiele vor. Nun packte mich ein gewisser Ehrgeiz, der genährt war von den Worten meines Betreuers, mit denen er mich an meine Bachelorarbeit erinnert hatte. Ich wollte eine Beispielrechnung zeigen, bei der ich eines der Integrale in unserer Theorie so hinbog, dass man die Sattelpunktapproximation anwenden konnte. Physikalisch ergab das für mich wenig Sinn und das Ergebnis, das ich bekam, wirkte auf mich noch weniger sinnvoll – wenn nicht sogar albern. Aber ich wollte unbedingt ein praxisnahes Beispiel zeigen. Vielleicht würde jemand etwas damit anfangen können oder mein Prof. erkennen, dass diese Approximation für uns nicht taugte.

Bei meinem Vortrag dann großes Staunen. Es stellte sich heraus, dass mein Ergebnis, als beiläufige Beispielrechnung vorgestellt, keineswegs albern ist. Es entspricht qualitativ sogar ziemlich genau dem, was in Simulationen beobachtet wird, doch gelang es bisher niemandem, das analytisch auszurechnen.

Was ich gefunden habe, ist möglicherweise ein wichtiger Baustein, um die Strukturbildung im Universum grundlegend zu verstehen.

 

Nun sind seit diesem Vortrag anderthalb Jahre vergangen. Ich konnte die Methode für unsere Theorie perfektionieren und ihren Anwendungsbereich für uns erheblich erweitern. Mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen sind in Arbeit. Mein Prof. schlug mich als Sprecherin für mehrere Vorträge im außeruniversitären Bereich sowie im Wissenschaftsbetrieb vor.

Heute geht es mir so gut wie noch nie. Ich liebe meine Arbeit. An der leichten Einstiegsaufgabe knoble ich übrigens noch heute, die Sattelpunktapproximation spielt dabei eine wichtige Rolle.
Von Angst und Selbstzweifel werde ich nur noch selten heimgesucht.

 

Das alles wäre nicht möglich gewesen, wenn mein Prof. mir nicht dieses Maß an Geduld, gutem Zuspruch und vor allem Vertrauen und den Freiraum, den ich für meine Entwicklung brauchte, entgegengebracht hätte. Wie sollen wir auch sonst zu neugierigen, selbstständig denkenden, kreativen WissenschaftlerInnen werden?

Für mich ist er ein Vorbild. Als Wissenschaftler, Betreuer, Lehrer und Mensch.
 

 

Web Administrator: Naranjo
Latest Revision: 2021-03-30
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